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Ist Winterhude das Hamburger Beverly Hills?


Vor nicht allzu langer Zeit eilte ich an einem Samstagvormittag den Poelchaukamp hinunter um meine Wochenendeinkäufe zu erledigen. Zufällig bekam ich mit, wie ein paar junge Leute sich vor dem dort ansässigen Kiosk trafen und einer dieser Leute, der offenbar aus einem anderen Stadtteil stammte, fragte seinen Winterhuder Freund, wo er denn hier gelandet sei. Dieser antwortete daraufhin mit großer Geste: „Du bist hier in Beverly Hills, Alter!“

Ich ging schmunzelnd meiner Wege, kam jedoch nicht umhin mich zu fragen, ob er recht hatte, denn im Endeffekt hat Winterhude mit dem amerikanischen Beverly Hills doch relativ viele Dinge gemeinsam. Beginnen wir doch einfach mal mit dem wunderschönen Mühlenkamp, um den uns die Bewohner vieler anderer Stadtteile glühend beneiden, auch wenn sie es vor lauter Stolz niemals zugeben würden. Auf dem Mühlenkamp reiht sich ein Café an das nächste, es gibt viele schöne kleine Geschäfte, nette Bars und in jedem Fall genug Spielraum für die Schönen und Reichen um zu sehen und gesehen zu werden. Scheinbar sind hier auf dem Mühlenkamp aber auch sämtliche Cafés und Bars darauf ausgerichtet, dass man draußen sitzen und die Leute beobachten kann, am wichtigsten jedoch ist, dass man auf jeden Fall selbst gesehen wird, wie man genüsslich den Schaum von einem entkoffeinierten, dreiviertelmagerem Sojamilch Latte Macchiato löffelt, am Strohhalm einer Rhabarbersaftschorle nuckelt oder einen erfrischenden Prosecco Aperol schlürft. Manchmal steht das Getränk aber auch nur als schmückendes Beiwerk auf einem kleinen Nebentischchen, da die vielen schönen Menschen viel zu sehr damit beschäftigt sind, wichtige Dinge wie den momentanen Standpunkt und mit wem man dort ist in ihre Smartphones einzugeben, zu besprechen, auf welche Party es heute Abend geht oder über den letzten Wochenendtrip und die Unmengen an Alkohol zu schwadronieren, der an besagtem Wochenende ausgeschenkt und konsumiert wurde. Das ganze findet gottseidank in einer Lautstärke statt, die man auch dann mitbekommt, wenn man sich zu einem entspannten Nachmittagskäffchen mit einem Buch oder einer Zeitschrift in eines dieser Cafés gesetzt hat, so dass man all das mitbekommt, was man sonst vielleicht der Zeitschrift entnehmen könnte, nur eben nicht direkt aus Beverly Hills sondern aus seinem Hamburger Pendant. Immer wieder wird man also auf aberwitzige Anekdoten aufmerksam gemacht, einfach darum, weil sich keiner die Mühe macht leise zu sprechen, und warum auch, man hat doch so wahnsinnig viel Aufregendes  zu berichten, dass man sich selbst, also zumindest ich mich, nach einiger Zeit fragt, ob es auf dem heimischen Balkon nicht entspannter wäre. Oft frage ich mich dann auch, ob das, was ich dort zu hören bekomme, wirklich so wahnsinnig wild und aufregend war, oder die Orgienfeste nur deswegen so berauschend erschienen, weil der Alkohol in besagt großen Mengen geflossen ist. Und was ich mich vielmehr noch frage: worüber reden diese Leute, wenn sie alle ausufernden Feste dieser Welt ausführlich besprochen haben? Sicher, in deren Welt werden die Feste nie versiegen und die Menschen werden immer schön sein, und wenn sie es nicht mehr sind, wird nachgeholfen oder es wird Frischfleisch angeheuert, aber worüber sprechen sie, wenn der letzte Drink getrunken, die letzte Zigarette geraucht, der letzte Flirt verklungen ist? Wie oft habe ich schon neben diesen Leuten gesessen und mir diese Frage gestellt. Und bis heute habe ich darauf keine Antwort. Und so komme ich leider nicht umhin der Beverly Hills Vergleichsliste einen erneuten Punkt hinzuzufügen: bisweilen erinnert die Oberflächlichkeit der Winterhuder doch stark an die der Amerikaner, und zwar ganz besonders an die derer, die aus Beverly Hills stammen. Tiefsinnige Themen, die vielleicht wirklich einmal spannend wären mit anzuhören, werden hier vergeblich gesucht.

Werfen wir einen weiteren Blick den Poelchaukamp, die Dorotheenstraße und die Sierichstraße hinunter. Auch hier folgen herrliche kleine Restaurants und Bistros dem nächsten, hübsche kleine Läden, Wein- und Einrichtungsgeschäfte runden das Bild einer herrschaftlichen Umgebung ab und man kommt zumindest nie der Frage nahe nicht zu wissen was man abends essen soll. Der Feinschmeckergaumen wird hier zu jeder Tages- und Abendzeit fündig und teilweise wird es schwer sich für eines der Lokale zu entscheiden. Was vielleicht ein Grund für die Beverly Hills Crowd unter den Winterhudern ist, denn auch wenn die Tische der einschlägigen Bistros und Restaurants stets gut gefüllt sind und es oftmals nicht leicht ist zur etwas späteren abendlichen Stunde noch einen Tisch zu ergattern, fällt doch auf, dass viele der jungen Gäste meist nur mit Trinken beschäftigt sind und das gute Essen oftmals kaum anrühren. Aber warum auch, ein Gäbelchen voll soll ja bekanntlich reichen um den Magen für einen ausschweifenden Abend  zu wappnen, und so gehen nicht selten recht volle Teller in die Küche zurück, während die Getränkebestellung den ganzen Abend über nie versiegt. Auch ein typisches Bild für Beverly Hills, essen die ganzen Möchtegern-Stars und Sternchen hier doch auch nur das allernötigste, ohne dass die Alkoholquelle jemals versiegt. Wer schick sein will, ist dünn und betrunken. Das ist alles was zählt. Wie schade jedoch, dass ihnen dabei so viel Genuss und Köstlichkeiten abhandenkommen, denn ist es nicht das Essen, das Körper und Seele zusammen hält? Nun eben drum, das erklärt vielleicht auch das viele Dummgeschwätze, das man von vielen Tischen mit anhören muss und trotz großer Bemühungen schwer drum herum kommt.

Von den vielen teuren Autos, die man tagtäglich in Winterhude zu sehen bekommt bis hin zu den Preisen in den vielen hübschen kleinen Boutiquen, Winterhude ähnelt Beverly Hills in jedem Fall. Das alles wäre jedoch nicht so schlimm, würde dazu nicht das teilweise wirklich abenteuerliche Gerede der Leute in den Bars, Cafés, Bistros und Restaurants kommen. In den Nachtclub auf dem Mühlenkamp verirre ich mich schon gar nicht mehr, weil es sich hier vor lauter Aufgeplustertheit und gut gespielter Hochnäsigkeit kaum aushalten lässt. Da fahre ich doch lieber auf den Kiez und trinke ein paar Mexikaner in der Talstraße bei meinem alten Freund Joseph. Hier geht es zumindest ehrlich zu. Und so sehr ich mein Winterhude auch liebe, würde ich mir manchmal doch wünschen, dass es hier auch ein bisschen ehrlicher zugeht und nicht darum, dass man denjenigen, die das dickste Portemonnaie haben, den meisten Honig ums Maul schmiert. Wir haben so einen wunderschönen Stadtteil, wir haben die Alster direkt um die Ecke, den Stadtpark im Rücken, kulinarische Highlights an jeder Straßenecke, den besten Kaffee der Stadt, herrliche Aussichtsplätze und Orte zum Ausruhen und Entspannen, wir haben alles, was wir zum Leben brauchen, und wenn wir mal von der Außenwelt abgeschnitten sein sollten, würden wir das vielleicht gar nicht merken, weil unser kleines hübsches Quartier wie in einem kleinen Dorf ganz normal weiterfunktionieren würde. Es wäre schade drum, wenn unser wunderschönes Winterhude nur noch von plattem Geplapper und leerem Geschnatter ausgefüllt würde, denn ich bin mir sicher, dass dafür zu viele kluge Köpfe bei uns wohnen und auch, dass sich mit Sicherheit auch lohnt, dass man einfach mal gar nichts sagt, wenn man gerade einfach nichts zu sagen hat.

Um also auf meine Eingangsfrage zurückzukommen: Ist Winterhude das Hamburger Beverly Hills? bin ich zu folgender Antwort gekommen: mit Sicherheit hat Winterhude eine Menge Züge vom amerikanischen Beverly Hills und mutet an vielen Ecken an den Edelstadtteil von Los Angeles an. Was die Preise der Wohnungen, die Looks der Designer in den Geschäften, die vielen Friseur- und Beauty-Studios und die Parkplatznot angeht, die Vielfalt der kulinarischen Köstlichkeiten in den unzähligen Bistros und Restaurants und die topgestylten Bewohner angeht habe ich schon oft das Gefühl gehabt, dass wir hier in Beverly Hills sind. Aber so ganz darauf einlassen möchte ich mich dennoch nicht, denn ich finde, wir Hamburger haben den Menschen in Beverly Hills doch so einiges voraus und sind nicht ganz so einfältig wie die Bewohner der Fernsehserie aus den 90ern. Ich wünsche mir, dass sich auch das wieder öfter zeigen wird und ich in den nächsten Wochen und Monaten viele hochgradig spannende Gespräche zu hören bekomme, vielleicht mal wieder einen Schritt in den Club du Nord wage, bei ein paar Witzen heimlich mitlachen kann und Leute tatsächlich genüsslich essen sehen werde. Winterhude zeigt viele Anzeichen von Beverly Hills, aber am Ende sind wir Winterhuder doch viel cooler, offener und welterfahrener. In diesem Sinne: Auf Winterhude!

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