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Lebenslust

Liebe Freunde des unverblümten Lesegenusses, ich weiß nicht, wie es für Euch gelaufen ist, aber ich habe das letzte Jahr nur mit Mühe und Not überlebt. Das schlimme: Ihr seht es mir überhaupt nicht an. Oder sollte ich das für etwas gutes halten? Ich bin mir selten eins darüber, auch wenn eigentlich so gut wie jeder, den ich kenne sagt, dass es doch super ist, dass man mir eben nicht ansieht, wie schlecht es mir geht. Ich dagegen denke, dass es schön wäre, wenn man es mir auch einfach direkt ansehen würde, dann müsste ich nicht ständig so viel erklären und ich müsste nicht ständig beweisen, dass es mir nicht meinem Aussehen entsprechend geht und ich würde nicht ständig wieder in Beglaubigungslast geraten, weil bei mir das Innere und das Äußere einfach nicht zusammen passen wollen. Der ein oder andere wird jetzt sagen: ist doch egal. Aber das ist es nicht. Seit Jahren kämpfe ich darum ein ganz normales Leben führen zu können und es will einfach nicht gelingen, im Gegenteil, es ist ein unermüdlicher Kampf gegen Windmühlen und voller Schmerzen und unsagbarer Anstrengungen, und es ist erdrückend und mühsam, wenn ich es anderen erklären will, jedoch ständig nur "Aber Du siehst doch gut aus!" zu hören bekomme. Dann fühle ich mich nicht ernst genommen und habe das Gefühl, dass die anderen sich nicht die Mühe machen können, oder wollen, auch genauer hinzuschauen und zuzuhören. Dann habe ich das Gefühl, dass die Maske erst recht nicht rutschen darf, dass ich zur Belastung werde, oder schon längst als Belastung gelte, und dass die meisten Menschen eben doch nur bis zum vermeintlichen fancy look und nicht darüber hinaus hinsehen möchten.
Ich bin mir auch immer noch nicht sicher, was das eine mit dem anderen zu tun hat, schließlich kann es jemanden schlecht gehen, der gut aussieht, und oft ist es ja nicht das Äußere (allein), das uns zu einem glücklichen und zufriedenen Menschen macht. Aber da wir alle noch immer so stark auf das äußere Erscheinungsbild, auf luxuriöse Autos und palastartige Wohnungen, auf Gucci, Prada, Hermès, Chanel, Rolex und prallgefüllte Bankkonten, verheissungsvolle Titel, rasante Karrieren, Beförderungen, Übertrumpfungen, Angebereien und vermeintlich Bessergestellte achten und uns noch immer meinen, damit identifizieren und vergleichen zu müssen, bleibt uns oft der Blick auf die Wahrheit und auf die wirklich wichtigen Dinge versperrt. Welche das sind, ist allerdings absolut individuell und kristallisiert sich erst im Laufe des Lebens heraus, bei den einen früher, bei den anderen später.
Durch meine langjährige Krankheitsgeschichte und den Verlauf meiner Erkrankungen kann ich heute sagen, dass ich vielleicht sehr viel eher (als mir lieb ist) herausgefunden habe, was für mich persönlich wichtig ist und was für mich zählt. Ob mir das wirklich etwas bringt, weiß ich bisher noch nicht, aber wie heißt es so schön: es ist auch immer gut zu wissen, was man nicht will, was man nicht braucht und was für einen, obwohl es scheinbar für alle anderen von immenser Bedeutung ist, keine Rolle spielt.
Ich habe früh gelernt, nicht zu jammern, erstens macht das nur alt, zweitens will es keiner hören, drittens macht es unsympathisch, viertens nervt es einfach nur, und fünftens wird es durchs Jammern trotzdem nicht besser. Nicht jammern heißt allerdings nicht, dass man nicht mit engen Freunden, guten Bekannten oder sympathischen Fremden über das sprechen kann, was einen umgibt und was es einem schwer macht leichtfüssiger zurechtzukommen. Ob jemand Mitleid, Mitgefühl oder Verständnis hat, hängt davon ab, ob er unser Herz und unsere Seele kennt, was er selbst erlebt hat und wie tief seine Empathie geht. Aber auch das habe ich lernen dürfen: es gibt sie, die Menschen, die unser Herz und unsere Seele kennen. Das passiert meist nicht an einem Abend (dennoch passieren solcherlei verzauberte Nächte), aber wenn wir es verstehen, Freundschaften zu pflegen, und ich kann Euch sagen, das ist harte Arbeit, dann haben wir every once in a while auch das Glück einen Freund oder eine Freundin für's Leben unter den Menschen zu finden, mit denen wir uns umgeben. Auch das habe ich früh gelernt, Freundschaften zu pflegen, und auch wenn das so viel leichter klingt als es tatsächlich ist, ist es doch eine lebenswichtige Angelegenheit. Weiterhin habe ich gelernt, auf kleinstem Fuss zu leben und mit wirklich wenig Geld zurecht zu kommen, ich kann fantastisch kochen und für mich selber stets und ständig gutes Essen zubereiten, auch wenn es oft eben nur für eine Person ist, ich habe gelernt, quality time mit mir selbst zu verbringen und es rundum zu genießen, (auch wenn es mir an manchen Tagen trotz starker Bemühungen auch einfach mal nicht gelingen will), ich habe gelernt alleine zu verreisen (auch wenn die letzte Reise lange zurückliegt, aber es gab sie, die wilden Zeiten), ich habe gelernt, Schnäppchen wie Upper Class Outfits aussehen zu lassen und beeindrucke bis heute stets und ständig mit meinen charmant gewählten geschmackvollen Outfits in allen Lebenslagen (und es macht mir Spaß, vor allem, wenn die Leute mich fragen wo ich etwas gekauft habe und was es gekostet hat, liebe ich es sie mit den ehrlichen Antworten zu durcheinander zu bringen und in Staunen zu versetzen), ich habe gelernt, mich so einzurichten, dass auch die kleinste Wohnung behaglich und fabelhaft schön ist, ich habe gelernt zu backen, Freude zu schenken, gute Bücher auszuwählen, guten und bezahlbaren Wein zu finden, wie man viel trinken und trotzdem fünfzehn Stunden am Stück feiern kann (ohne dass es einem am nächsten Tag schlecht geht), ich habe gelernt, wohltuende Rituale und Traditionen zu pflegen, wirklich zuzuhören, eine echte Freundin zu sein, und allem voran weiß ich wie man Genuss lebt.
Rückblickend, wie man es zu Beginn eines Neuen Jahres eben tut, habe ich in all den Jahren seit Anbeginn meiner Krankheit vielleicht nicht das erreicht, was ich mir immer für mich gewünscht habe, aber andererseits habe ich auch nie aufgegeben. Ich musste umdenken, mich von meiner Karriere und von Titeln, von Penthäusern und einer frühen Hochzeit, von einem schnellen Flitzer und jeden Tag High Heels zur Arbeit tragen verabschieden, und von so viel mehr, von dem ich dachte, ich würde es alles eines schnellen Tages nach meinen Uni-Abschlüssen haben. Ich habe nichts von all den Dingen, von denen ich zum Studienbeginn dachte, ich würde es rasant und ohne Umschweife erreichen. Mein Leben ist ein anderes geworden, meine Träume haben sich nicht erfüllt. Ich musste in erster Linie lernen mit meinen Erkrankungen zu leben, und bis heute bin ich nicht so gut darin, wie ich es gerne wäre. Weil es verdammt schwer ist, weil es keinen Spass macht, weil es sich fast täglich scheisse anfühlt und weil ich so viele tolle Pläne hatte. Ich bin noch immer traurig darüber, einfach, weil es so wahnsinnig schwer ist zurechtzukommen und trotz allen Niederlagen und Schmerzen und schweren Enttäuschungen, Rückschlägen und Hindernissen und, verdammt noch Mal, der ganzen großen Kacke, die dahinter steckt, weiterzumachen, aber ich glaube, es kann auch gut werden. Aber eben anders. Und noch immer nicht sofort.
In den letzten Wochen rund um Weihnachten und Neujahr habe ich so viel Liebe erlebt, dass ich neben all den schlimmen Dingen auch sehr viel Dankbarkeit und Verbundenheit mit all meinen Freunden, mit denen ich Zeit verbringen konnte, und auch mit meiner Familie empfinde. So viele Menschen, mit denen ich gegessen, getrunken, gekocht, gelacht, getanzt, gefeiert, vor Rührung geweint, genossen, entspannt, erzählt, geschrieben, in Erinnerungen geschwelgt, gescherzt, mich amüsiert, ausgegangen und zu später Stunde eingekehrt bin, Horrorfilme geguckt, dreckige Witze erzählt und auch schwere Stunden geteilt habe. All die Feste, die Einladungen und Dinner-Abende, eine spontane Hochzeit, Kaffee- und Kuchen-Nachmittage, geleerte Weingläser und Cremant-Flaschen, Briefe und Geschenke, Bar-Besuche und späte nächtliche Heimfahrten zeigen mir, auch wenn ich es manchmal einfach nicht sehen kann, wie reich ich bin. Und dafür bin ich dankbar. Und es zeigt mir, dass es durchaus Hoffnung gibt. Und wenn wir genau zuhören, dann ist auch nicht jede Geschichte der anderen stets und ständig glamourös und voller Luftschlangen und Luxusfeuerwerk. Aber natürlich ist es für uns viel einfacher zu glauben, dass bei allen anderen immer alles toll ist und es nur bei einem selbst nicht läuft.
Manchmal ist das auch tatsächlich so. Aber genau dann dürfen und sollten wir nicht vergessen (und ich weiß, es klingt kalenderspruch-mässig!) uns an den kleinen Dingen zu erfreuen und sie stets und ständig abrufbar und wie kleine Schätze festzuhalten. Um sie dann in den Zeiten wieder herauszuholen, die nur allzu dunkel sind, und uns daran zu erinnern, dass es sie gab, und wieder geben wird, die glücklichen Momente und die schönen Stunden. (Auch wenn wir uns inständig wünschen, es gäbe so viel mehr davon. Aber zumindest werden wir gewahr, dass es sie gibt.) Auch das habe ich gelernt, und im Neuen Jahr möchte ich mich gerne noch besser an die Momente der Verbundenheit und der Wärme erinnern können und schöne Augenblicke noch intensiver geniessen. Und auf gar keinen Fall darf und will ich mich weiter vergleichen. Es führt nirgendwo hin. Denn auch das musste ich lernen, und so schmerzhaft es auch ist, mein Leben ist anders.
Was ich allerdings verlernt habe, ist mutig zu sein, und ich vermisse die Zeit schmerzlich, in der ich keine Angst hatte. Dummerweise werden wir mit den Jahren, bedingt durch Enttäuschungen und Rückschläge, ängstlicher, und wenn es dann auch noch von allem zu viel war und statt für ein Leben für 273 Leben reichen würde, bleibt es schwer, uns den Mut zu bewahren. Aber ich will mich der Verantwortung stellen und meinen alten Freund, den Mut, wieder in mir hervorholen. Ich hoffe, er ist noch da und hat sich allerhöchstens gut versteckt.
Wer kann schon wissen, wie ich in einem Jahr um diese Zeit denke. Ob ich mich da vielleicht sogar manchmal freue, wenn ich höre "Aber gut siehst Du aus!" obwohl es gar nicht so ist? Ob ich genauso aussehen werde wie ich mich fühle? Und wenn ja, ob ich dann immer noch so knackig und knusprig bin wie jetzt gerade? Oder ob ich vielleicht sogar darüber hinwegsehen kann, dass mein Aussehen nicht meiner inneren Verfassung entspricht und lernen konnte, positiv und gestärkt damit umzugehen? You never know what happens next. Aber ich will es herausfinden. Und ich hoffe tief und fest, dass meine Erkrankungen mich gewähren lassen und es mir nicht wieder so schwer machen wie in der Vergangenheit. (Natürlich würde ich mir noch eher wünschen, dass sie ganz verschwinden und mich von jetzt an jeden Tag nur noch nach vorne blicken lassen, aber auch das habe ich gelernt: ich werde mit meinen durch die Krankheit entstandenen und bestehenden Beeinträchtigungen leben müssen. Sie gehören zu mir dazu.)
Liebe mittlerweile wahrscheinlich von soviel Enthusiasmus erschöpften Leser, ich weiß, Vorsätze sind old school und wir halten uns meistens nicht daran. Aber meine Vorsätze sind dennoch gefasst: Intensität, Hoffnung, Mut, Dankbarkeit, NICHT VERGLEICHEN und Lebenslust. Und weil Gedanken flüchtig sind, sollten wir sie aufschreiben und festhalten, damit wir uns daran erinnern können. Das habe ich hiermit getan. Und wenn wir trotzdem weiter leben und das beste aus unserer Situation machen, dann haben wir alles richtig gemacht. Nun wünsche ich uns allen ein fabelhaftes, glückliches und erfülltes Neues Jahr 2016 und bin gespannt, ob wir es schaffen, das Beste aus allen kommenden Tagen und allen bevorstehenden, rauschenden Nächten zu machen. In diesem Sinne: enjoy, lovers. Let's have the best of times!

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